Sowas gibt es nicht?
Habe ich früher auch immer gedacht, oder vielmehr habe ich nicht
gedacht, denn wer denkt schon an so was?
Es war ziemlich
spätherbstliches Wetter und der November gab sich alle Mühe, seinem
Ruf gerecht zu werden. Wind fegte Blätter durch die Strassen und mir
ins Gesicht. Ich schlug den Kragen hoch, nahm den Kopf zwischen die
Schultern und eilte, so schnell ich konnte mit weit vorgebeugtem
Oberkörper. Wer will behaupten, daß er in dieser Haltung viel nach
rechts und links schaut? Ich hatte einen Weg vor mir, den ich
ungezählte male bereits gegangen war. Doch diesmal bemerkte ich zu
meiner Linken ein Haus, wie es dort immer gestanden hatte, das trotz
seines Dutzendcharakters meinen Blick auf sich zog. und da war es
eigentlich ein Messingschild mit eingravierten schwarzen Buchstaben,
das etwas Ungewöhnliches an sich hatte. Aus dem Augenwinkel war mir
zuerst nur das Wort „Träume" aufgefallen.
„Nanu,"
muß ich wohl gedacht haben oder so ähnlich, wie man eben denkt bei
solchen Anlässen. Jedenfalls bin ich stehengeblieben und las das
ganze Schild, trotz Eile im Unwetter. Stand da doch tatsächlich: „
Fundbüro für verlorene Träume." Ich weiß nicht mehr, ob ich
dann: „Na so was," oder wieder „Nanu," gedacht habe.
Ich merke mir das nicht immer so genau. Einige Stufen schritt,
jawohl, schritt ich hinauf, denn es war mir andächtig zumute, und
fand mich in einem neonbeleuchteten Flur, an dessen Ende eine Tür
mit einem kleinen Schild war, auf dem wieder stand: „Fundbüro für
verlorene Träume." Darunter war ein noch kleineres Schild:
„Herein ohne anzuklopfen." Wie unter Zwang klopfte ich an und
jemand rief von drinnen: „Herein ohne anzuklopfen!" Und dann
hörte ich ihn noch murmeln: Daß die Leute alle nicht lesen können!"
Ich schloß zaghaft und bedächtig die Türe hinter mir und fand mich
vor einen Tresen, hinter dem soeben ein älterer Mann im grauen
Kittel aufstand und mich nach meinem Begehren fragte.
„Sagen
Sie, stimmt das, ich meine, was da steht: Fundbüro für verlorene
Träume?"
„Ja ja," gab der graue Kittel zur Antwort.
„Was haben Sie denn für einen Traum verloren?"
„Ich? Oh
nein, das ist ein Mißverständnis. Ich habe nur das Schild gesehen
und mich gewundert, weil man doch Träume nicht verlieren
kann."
„So?" fragte der Alte. „Haben Sie noch nie
einen Traum verloren?"
„Nein," erwiderte ich und
dann: „Oder doch, aber ich habe nicht weiter danach gesucht. Wer
hätte ihn schon finden sollen? Das gibt es doch gar nicht, daß man
Träume findet."
„Gibt es nicht?" Er blickte mich
beinahe vorwurfsvoll an. „Freilich werden die ehrlichen Finder
immer seltener. Es sind heute zu viele Werbeagenturen nach Träumen
auf der Jagd. Die sammeln sie und schlachten sie aus, damit für
unsere Konsumgüter noch wirkungsvoller geworben werden kann. Aber
hin und wieder liefert doch einer einen verlorengegangenen Traum bei
uns ab."
„Und Sie, Sie warten dann, bis sich der Besitzer
meldet? Der kriegt dann seinen Traum zurück?"
„Nun ja, im
Prinzip ist das so. Natürlich müssen wir erst überprüfen, ob es
wirklich sein Traum ist. Wir lassen ihn uns dann in Stichpunkten
erzählen, und wenn wir ihn haben, kann der rechtmäßige Eigentümer
ihn mitnehmen."
Ich versuchte immer einen Blick ins hintere
des Raumes zu werfen, weil ich dort noch einen Kollegen von ihm
vermutete, da er immer in der Wir-Form sprach. Wie ich aber niemanden
entdecken konnte, schloß ich, daß es sich um eine öffentliche
Behörde handeln mußte.
Der Traumfundbüroverwalter oder Beamte,
ich weiß wirklich nicht, wie man solche Leute nennen soll, deutete
mein Suchen als Neugierde um die verwahrten Träume, bat mich durch
eine Absperrung und zeigte mir dann einige verschiedenfarbige Regale,
auf denen in Blechdosen zu Hunderten die abgegebenen Träume
stapelten.
„Wir haben sie nach Themenbereichen sortiert. Das
erleichtert enorm das Wiederfinden. Im roten Regal verwahren wir zum
Beispiel alle Arten von Liebesträumen. Die beiden grünen dort
drüben enthalten Berufsträume, Zukunftsträume, Träume von
Reichtum und Glück und Ähnliches. Das blaue hier vorne, sind
Abenteuerträume, Kinderträume und Träume von Weltreisen oder
Inselparadiesen im Südpazifik. Und so weiter und so fort."
Ich
deutete auf ein schwarzes Regal, das unter seiner Last beinahe
zusammenzubrechen drohte. „Ja das sind unsere Sorgenkinder, die
Alpträume. Wir sind vom Gesetzgeber verpflichtet auch sie
aufzubewahren. Freilich kommt selten einer und fragt nach seinem
verlorengegangenen Alptraum. Obwohl, es kommt vor. Erst vor gut einer
Woche kam jemand. Ich hatte seinen Traum ziemlich bald gefunden. Und
es war wirklich ein abscheulicher Traum, kann ich Ihnen sagen. Ich
habe die Dose sofort wieder zugemacht, nachdem feststand, daß es
zweifellos seiner war. Sie glauben gar nicht, wie glücklich der Mann
war, als er seinen Alptraum wieder hatte."
Am Tresen stand
mittlerweile eine alte Frau. Ich schätzte sie auf über achtzig
Jahre alt. Sie klagte, daß sie einen Traum verloren habe. Ob er
vielleicht abgegeben worden sei.
„Was war es denn für ein
Traum? Können sie ihn beschreiben?" Die alte Damen warf einen
scheuen Blick auf mich, und der Beamte deutete mir, solange draußen
zu warten. Ich verzog mich hinter die Tür, da ich aber wissen
wollte, wann ich wieder reinkommen könnte, ließ ich sie einen Spalt
offen und verstand nun jedes Wort.
„Wissen Sie," begann die
Alte. „ Es war einer meiner Jugendträume. Ich wollte immer - sie
dürfen aber nicht lachen - also ich wollte immer mal einen
Schönheitswettbewerb gewinnen. Ich habe mir vorgestellt auf einer
Bühne zu stehen und vor den allerschönsten Mädchen des Landes
prämiert zu werden. Ich weiß, es ist ein alberner Traum, aber ich
hänge so daran."
„Schönheitswettbewerb," wiederholte
der Traumverwalter. „Mh, wo könnten wir den hingestellt haben?
Vielleicht unter Zukunftsträume und Berufswünsche." Er wandte
sich an das grüne Regal und blickte die Reihen durch. An der Rundung
der Dosen befanden sich jeweils kleine Etiketten mit stichwortartiger
Schilderung der Trauminhalte.
„Also, hier ist er jedenfalls
nicht. Wann haben sie ihn denn verloren?" hörte ich den
Kittelmenschen fragen.
„Das weiß ich nicht so genau. Es ist
vielleicht schon eine Weile her. Vor vierzehn Tagen jedenfalls, als
ich beim Frisör in einer Modezeitschrift blätterte, hatte ich ihn
noch. Oder ist das schon drei Wochen her? Sie glauben ja gar nicht,
wie schnell die Zeit vergeht, wenn man erst mal so alt ist wie
ich."
„Es könnte sein," murmelte jetzt der Verwalter,
„daß wir ihn zu den Exoten getan haben. Besonders ausgefallene
Träume, bei denen nicht die Wahrscheinlichkeit besteht, daß sie
noch abgeholt werden, sammeln wir in einem kleinen Traummuseum.
Natürlich nur die besonders hübschen Exemplare."
Er wandte
sich nach hinten und kam tatsächlich nach einer Weile mit einer Dose
zurück, die er sogleich öffnete und deren Inhalt die ältere Dame
identifizieren mußte.
„Ja, genau, das ist er. Sie haben ihn.
Das ist er," jauchzte sie vor Begeisterung.
„Hören Sie
mal," fragte der Beamte „hier auf dem Siegerkranz der
Schönheitskönigin steht aber Miß Europa 2008. Und das sind ja
alles ganz schlanke, junge Mädchen."
„Nun ja,"
erklärte das Mütterchen. „Ich habe meinen Traum eben immer auf
dem neusten Stand gehalten. Was meinen Sie, wie schön ich als junges
Mädchen ausgesehen habe? Und erst als verheiratete Frau. Ich bin
immer eine anmutige Person gewesen. Denken Sie doch, der Fleischer im
Wurstgeschäft hat letzte Woche zu mir gesagt. „Frau Schuhmann,"
hat er gesagt. „Sehe Sie nicht so keck meine Würste an, sonst
zuckt es bei denen noch unter der Pelle."
„Wenn Sie dann
bitte hier unterschreiben wollen," unterbrach sie der Beamte
„daß wir den Traum ordnungsgemäß und unbeschädigt ausgehändigt
haben. Die Dose lassen Sie bitte hier."
Das Mütterchen
kramte eine häßliche alte Brille aus ihrer Handtasche, die ihren
Traum Lügen zu strafen vermocht hätte, ließ sich noch einmal die
Stelle zeigen, wo sie unterschreiben sollte und kritzelte dann ihren
Namen genau auf die verkehrte Linie, nämlich wo stand: Unterschrift
des Aushändigenden. Der Beamte aber lächelte nur, geleitete die
Greisin noch zur Tür, indem er sie am Arm führte und ich schnell
einen Sprung zur Seite machte.
„Sie haben die ganze Zeit
gelauscht," fauchte mich die Frau an. „Aber ob Sie´s glauben
oder nicht, ich war wirklich mal sehr schön."
Wie sie nun
mit ihrem wiedererlangten Traum durch den Hausflur schlurfte, hatte
sie tatsächlich die Art Anmut, wie sie oft alten Omis zu eigen
ist.
„Daß so alte Leute noch Träume haben," wunderte ich
mich laut beim Wiedereintritt in das Traumfundbüro.
„Ja, warum
denn nicht," wollte der freundliche Traumwärter wissen,
„Ich
dachte immer, wenn Leute alt sind, müßten sie viel zu weise
geworden sein, um noch solche Träume zu haben. Ein weiser Mensch
steht doch über diesen Dingen. Ich bitte Sie, träumen tun doch nur
die jungen Menschen, die noch keine Verantwortung tragen
müssen."
„Sehen Sie, da haben Sie nun wieder geträumt.
Erstens tut das jeder Mensch, und zweitens träumen gerade die am
meisten, die in der Verantwortung stehen. Die anderen können schon
eher mal einen Traum verwirklichen. Allerdings, da muß ich Ihnen
recht geben, gehen die vermeintlich Stebsamen mit einigen ihrer
Träume manchmal sehr rücksichtslos um. Da wird so ein Traum, weil
er dem Erfolg scheinbar im Wege steht, einfach lieblos auf die Straße
geschleudert. Und wenn wir dann diese Träume bekommen, sehen sie
recht verwahrlost aus. Manchmal mag ich sie gar nicht anfassen, so
schmutzig und zertreten sind sie. Wir sind aber verpflichtet, auch
diese Träume zu verwahren. Was glauben Sie, was es für eine Mühe
bereitet, bis man so einen Traum wieder ansehnlich hergerichtet hat.
Ich kann sie doch nicht in diesem Zustand lassen. Da werden ja unsere
Behälter unbrauchbar."
Ich war inzwischen ein wenig
nachdenklich geworden. All diese Träume auf einem Haufen.
Ob das
denn nicht verwirrend sei und ob man denn alle Träume voneinander
unterscheiden könnte.
„Sicher," erklärte mir mein
Gegenüber „wenn man neu ist in diesem Geschäft, gleichen manche
Träume, wie ein Negerkind dem anderen. Und doch kann die Negermutter
sie unterscheiden, wie ein Schäfer seine Schafe kennt oder eben ein
Träumer seine spezifischen Träume. Natürlich gibt es
Dutzendträume. Nehmen wir zum Beispiel die Liebesträume, die Träume
vom ehelichen Glück, von Treue, Kindererziehung, trautem Heim. Das
ist so ein typischer Allerweltstraum, der auch meistens schon in den
ersten Ehejahren verloren wird. Dieser Traumtyp stapelt zu Hunderten
bei uns. Und nach dem ersten Ehestreit kommen meistens die jungen
Frauen zu uns gerannt und fragen, ob nicht ihr Traum bei uns
abgegeben worden sei. Meistens weinen sie noch, und wenn man sie
bittet, den Traum zu beschreiben, sind sie kaum imstande dazu. Sehen
Sie das Gerät das drüben? Ich darf es Ihnen eigentlich nicht
verraten. Es ist ein Traumkopiergerät. Es stammt noch von meinem
Vorgänger. Er war eine Seele von einem Menschen. Wenn er manchmal
mit einem abhanden gekommenen Traum nicht dienen konnte, weil er
wirklich nicht abgegeben worden war oder er ihn nicht finden konnte,
- Sie müssen wissen, die Farbregale waren eine Idee von mir - , dann
gab er einfach einen ähnlichen Traum heraus. Meistens wurde es nicht
einmal bemerkt. Ich sage ja, so ähnlich sind mitunter die Träume.
Wenn hinterher allerdings der rechtmäßige Besitzer kam und er nicht
helfen konnte, weil der nun zufällig seinen Traum ganz genau kannte,
mußte er sagen, daß der Traum eben nicht aufgefunden, zumindest
nicht abgegeben worden sei. Sehen Sie, darum hat er diesen
Traumkopierer bauen lassen."
Ich besah mir das Gerät
genauer. Es funktionierte beinahe, wie eine Cassettenkopiermaschine.
Auf der einen Seite gab man den Traum ein und auf der anderen fiel
die fertige Kopie heraus.
„Ja, bekommen Sie denn da keine
Schwierigkeiten mit den Eigentumsrechten. Jeder hat doch soetwas wie
ein Copyright oder Gebrauchsmusterschutz auf seinen Traum. Ist das
nicht geistiger Diebstahl," wollte ich wissen.
„Eigentlich
haben Sie recht. Von Gesetzes wegen dürften wir das nicht tun. Wir
nehmen auch immer nur solche Träume, die, wie ich schon sagte,
Dutzendware sind. Und seitdem das Gerät da ist, kann ich Ihnen
verraten, ist die Ehescheidungsrate wieder im Absinken
begriffen."
„Das ist ja enorm," gab ich zu. „Beinahe
ein Segen der Menschheit."
„Naja," lächelte
bescheiden mein Gegenüber. „Soweit würde ich nun nicht gehen.
Obwohl, wir bekommen manchmal Anrufe vom Krankenhaus. Wenn eine
besonders schwere Operation bevorsteht, bekommt der Patient vorher
noch eine Traumkopie und die Gefahr eines seelischen Schocks ist
etwas gemindert. Professor Rüßbach vom städtischen Krankenhaus hat
das vor zwei Jahren ungefähr das erste Mal praktiziert. Inzwischen
gibt es schon eine Statistik über den erfolgreichen Verlauf von
Operationen mit und ohne vorheriger Eingabe einer Traumkopie. Und die
Zahlen sprechen deutlich für die präoperative Verabreichung eines
Traumes. So haben wir zum Beispiel einen Krankenkassentraum
entwickelt, den die Versicherungen bezahlen. Für private Patienten
gebe ich schon gelegentlich mal die Kopie eines unserer
Museumsschätze heraus. Soetwas aber wirklich nur bei
außerordentlichen Patienten, Promineten gewissermaßen."
„Ich
verstehe," log ich, denn wer kann schon behaupten, daß ihm
dererlei Dinge geläufig sind?
Inzwischen war ein kleiner Junge
eingetreten und wartete geduldig und brav am Tresen. Nach seinem
Anliegen befragt, erklärte er: „Mein Papi schickt mich. Ich soll
fragen, ob jemand hier meinen Traum abgegeben hat."
„Was
war es denn für ein Traum?"
„Ich hab´immer geträumt, daß
mein Papi der stärkste, klügste und beste Mann auf der Welt
ist."
„So, und jetzt schickt dich dein Papi fragen, ob
dieser Traum hier abgegeben worden ist. Wann hast du ihn denn
verloren, deinen Traum vom großen Papa?"
„Letzten
Donnerstag war´s. Ich weiß es noch ganz genau. Die Mami hat mich in
die Gastwirtschaft geschickt, dem Papi sagen, daß er kommen soll. Da
saß so ein Mann neben meinem Papi, der lachte ihn aus und sagte:
„Das kannst du vielleicht deinem Mäxchen erzählen, aber uns doch
nicht." Da wollte ihm der Papi eine runterhauen, aber da hatte
er schon eine geklebt gekriegt. Und weil ich dann anfing zu heulen,
haben sie alle auf mich geschaut. Da war der Papi ganz erschrocken,
ist aufgesprungen und hat mich aus der Wirtschaft gezerrt. „Komm,
laß uns gehen," hat er gesagt. „Mit solchen Leuten geben wir
uns doch gar nicht erst ab." Aber am Freitagabend ist er wieder
in die Wirtschaft gegangen. Und als er nachhause kam, hat er Lärm
gemacht und war betrunken. Die Mami hat gesagt, ich soll wieder ins
Bett gehen und zum Papi hat sie was geflüstert. In der Nacht habe
ich wieder vom Papi geträumt, aber es war ganz anders als
früher."
Damit endete er seinen bericht und forderte
pflichtgemäß seinen verlorenen Traum zurück, vom starken, guten,
großen Papi.
„Nee, mein Junge, is´ nich´ abgegeben worden,"
sagte der Beamte ohne nachzusehen. „Da muß sich dein Papi was
anderes einfallen lassen."
„Macht nichts," erwiderte
der Kleine. „Wenn Sie mir nur so einen Zettel geben können, wo Sie
draufschreiben, daß ich da war."
Aus einer Schublade fischte
der Angesprochene einen Vordruck, den der Junge mit seinem Namen
ausfüllte und unterschrieben mit Stempel des Fundbüros
zurückerhielt.
„Ja, gibt´s denn sowas," fragte ich
beinahe empört, als der Kleine verschwunden war. „Und Sie haben
sogar noch einen fertigen Vordruck dafür."
„Wir sind eine
moderne Behörde. Und solches Ansinnen wird öfter an uns gestellt,
als Sie glauben. daher die Vordrucke. Im Vertrauen, wir sind
angehalten worden in solchen Fällen, selbst wenn wir die Träume
haben, sie nicht herauszugeben. Schließlich unterstehen wir ja einem
öffentlichen Interesse. Der Träger dieser Einrichtung ist der Bund
in Zusammenarbeit mit der Stiftung für Volkspsychologie. Von dieser
Stiftung wird alljährlich eine schwarze Liste herausgebracht, mit
Träumen, die aus dem Verkehr zu ziehen sind. Daß dieser Junge nun
seinen Traum von seinem Papa verloren hat, ist der Regierung
gewissermaßen nur recht.
Schau´n Sie, jemand, der ein Leben lang
von solch einem Vater träumt, ist schwer regierbar. Der Staat möchte
sich die Formung des Gewissens vorbehalten. Dabei sind dererlei
Träume im Wege. Denken Sie nur, der junge Mann kommt dereinst zum
Militär und hat noch immer diesen Traum. Wer könnte ihn dann noch
zum Gehorsam gegenüber den Vorgesetzten zwingen?"
Als ich
schwieg, fuhr er fort: „Sehen Sie, Sie sagen nichts. Und das ist
eigentlich alles, was man dazu sagen kann. Gewisse Träume sind eben
nicht erwünscht, und wenn man ihrer habhaft werden kann, vernichtet
man sie. Ich muß mich da an die Vorschriften halten. Andere Träume
wiederum werden mit einem roten Punkt versehen und dem Vermerk:
Besonders förderungswürdig. Diese Träume werden in Zusammenarbeit
mit den Medien Fernsehen, Radio und Zeitung aufbereitet und
vervielfältigt. Auch besteht eine enge Zusammenarbeit zwischenden
Werbeargenturen der Großkonzerne und der Regierung. Das ist nun
allerdings kein Geheimnis und wohl auch immer so gewesen."
Er
mochte recht haben, dennoch wurde mir ein wenig mulmig zumute. Da
nimmt also jemand Einfluß auf unsere Träume. Da kann sogar ein
Traum konfessziert werden. Ich nahm mir vor, in Zukunft besser auf
meine Träume zu achten.
„Kommen Sie," winkte mir der Alte
verschmitzt. „Ich habe da ein privates Schatzkästlein. Manchmal,
wenn so ein Tarum, der in der schwarzen Liste genannt wird, gar zu
hübsch ist, dann unterschlage ich ihn einfach. Jawohl, ich
unterschlage ihn. Das soll mit erstmal einer nachweisen."
Er
führte mich in ein Hinterzimmer an eine Kommode, zu der er nur den
Schlüssel hatte.
„Sie wollten schon mal einführen,
vierteljährlichen einen Inspizienten zu schicken. Da kam auch mal
einer von der Regierung oder so. Ich habe ihn herumgeführt und
aufgefordert, die einzelnen Träume durchzusehen. Da hat er nur
geschluckt, diesen oder jenen herausgegriffen, flüchtig angeschaut,
und beim Gehen hat er mir auf die Schulter geklopft und gesagt:
„Nicht wahr, wir können uns doch auf Sie verlassen. Sie werden das
schon machen." Und im Großen und Ganzen hat er ja auch recht.
Jedenfalls ist nie wieder einer dagewesen."
Er zeigte mir den
Traum eines jungen Studenten, eines Anarchisten, wie er mir
versicherte. Dieser Traum war ganz reizvoll. Nicht so mit Gewalt,
ohne Regierung, ohne Geld, ohne Krieg, Brüderlichkeit, Verständnis
füreinander, eigentlich ein richtiger Märchentraum. Daß er dennoch
auf die schwarze Liste gehörte, war wohl nur eine Vorsichtsmaßnahme.
Ich hatte plötzlich eine Idee oder einen Gedanken.
„Sagen Sie,
da gibt es doch eine Art von Träumen ähm..." Es wurde
schwierig für mich weiterzusprechen. Er schaute mich fragend an,
grinste dann und winkte ab.
„Nein, nein, der Herr. Soetwas
führen wir nicht. Sie meinen diese gewisse Art der jungen Männer,
wie sie von ihren Mädchen träumen. Das alles mit pornopgraphischer
Ausstaffierung. Da muß ich Sie enttäuschen, solche Träume werden
nicht verloren, oder wenn doch, gibt sie zumindest keiner ab, was
immerhin verständlich ist. Sagen Sie selbst, würden Sie Ihre
erotischen Träume verlieren?"
Das war nun eine Frage, die
ich ihm beim besten Willen nicht beantworten konnte, das heißt, ich
bin mir heute nicht mehr so sicher, ob es nicht eben an diesem Willen
gelegen hat. Jedenfalls war eine peinliche Pause entstanden, die ich
dazu nutzte meine Frage, oder den Ansatz zur Frage, zu bereuen.
„An
diese Träume kommen nicht einmal die Werbeargeturen und Filmfritzen
heran, sonst würden sie nicht so schlechte Filme machen. Ich
behaupte nämlich, daß diese Träume besser sind als ihr Ruf. Nur
beweisen kann ich das nicht, aus den erwähnten Gründen."
Er
zeigte mir noch einige seiner besten Stücke, darunter den Traum
eines kleinen Mädchens, das auf dem Tandem mit ihrem Bruder hinauf
zu den Sternen radelte, dort Prinzessin über ganze Planeten von
Elfen und Zwergen wurde, die zu wunderlicher Musik tanzten. War das
also wirklich die Phantasiewelt von Kindern? Diesbezüglich mußte
ich den Werbeleuten und Filmfritzen ein Kompliment machen. Hier
hatten sie geradezu naturgetreu abgeschrieben.
Der kritische Leser
wird sich vielleicht wundern, daß ich soviel Zeit hatte, solange in
diesem zweifellos interessanten Büro zu verbringen. Ich habe mich
hinterher selber gewundert und noch vielmehr mein Arbeitgeber.
„Haben
Sie heute morgen wieder solange geträumt?" fragte er, als ich
kurz vor Mittag am Arbeitsplatz eintraf.
„Jawohl,"
antwortete ich, verbesserte mich aber gleich: „Nein, nicht ich,
sondern die Leute."
Er fegte aber nur mit einem hochnäsigen:
„Papperlapapp" aus dem Zimmer.
Noch mehr wundert mich
eigentlich, daß ich das Messingschild nie wiedergesehen habe.